Auch das italienische Berufungsgericht, das jüngst durch Regierungserlass vom 23. Oktober 2024 mit diesen Entscheidungen betraut wurde, hat die Verwaltungshaft von Migranten in Albanien nicht bestätigt. Stattdessen beschloss es, die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs über sichere Herkunftsländer abzuwarten. Erst dann werden nationale Gerichte klarere Richtlinien zur Verfügung haben, anhand derer bestimmt werden kann, welche Migrant:innen in Europa einem beschleunigten Grenzverfahren unterzogen werden können – sofern dies überhaupt der Fall ist. Ein solches Verfahren, das in einigen Ländern an den EU-Außengrenzen getestet wird, wird für das Funktionieren des neuen Asyl- und Migrationspakts der EU, der im März 2026 in Kraft treten wird, von entscheidender Bedeutung sein. Chiara Pagano, Forscherin im Grazer Universitätsprojekt „Elastic Borders“, arbeitet an der Entwicklung der EU-Außengrenzen und fasst den aktuellen Stand der Debatte zusammen:
„Dass italienische Richter:innen dagegen sind, dass Italien Hotspots und Rückführungszentren in Albanien betreibt, ist eine weit verbreitete, aber falsche Meinung. Die italienischen Gerichte, die bisher mit dieser Angelegenheit befasst waren, stellen den Betrieb der albanischen Lager nicht grundsätzlich in Frage. Sie lehnen es jedoch ab, die Verwaltungshaft von Asylbewerbern über die in der italienischen Einwanderungsgesetzgebung vorgesehenen 48 Stunden hinaus zu genehmigen. Eine solche Genehmigung ist für die Umsetzung beschleunigter Grenzverfahren, denen nach Albanien überstellte Migranten unterzogen werden sollen, von entscheidender Bedeutung. Sie wird jedoch derzeit von den italienischen Behörden für öffentliche Sicherheit befürwortet, die die Zentren in Albanien nach den sehr umstrittenen Kriterien des ,sicheren Herkunftsdrittlandes' betreiben. Unter Bezugnahme auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) haben das erstinstanzliche Gericht in Rom und das Berufungsgericht wiederholt festgestellt, dass es nicht möglich ist, Länder wie Bangladesch oder Ägypten als sicher zu bezeichnen. Daher ist es nicht möglich, Asylsuchende aus diesen Ländern festzunehmen, um sie beschleunigten Grenzverfahren zu unterziehen. Solche Entscheidungen haben sich nicht nur auf die Umsetzung beschleunigter Grenzverfahren in Albanien, sondern auch in Italien ausgewirkt. Tatsächlich haben auch die ordentlichen Gerichte von Catania oder Palermo davon abgesehen, Haftbefehle gegen MigrantInnen aus diesen Ländern, die in die Hotspots Pozzallo-Modica und Porto Empedocle auf Sizilien gebracht wurden zu bestätigen. Das Besondere am Fall der Asylsuchenden, die in den Hotspot in Albanien überstellt wurden, ist, dass diese Personen nach dem Protokoll zwischen Italien und Albanien nach ihrer Entlassung aus der Verwaltungshaft nicht legal nach Albanien entlassen werden können, da dies einem Schmuggel gleichkäme. Aus diesem Grund müssen die italienischen Behörden sie nach ihrer Freilassung unverzüglich nach Italien überstellen.
Die Regierung von Giorgia Meloni versuchte zunächst auf die Einschränkungen, die sich aus dem EuGH-Urteil ergaben, zu reagieren, indem sie eine neue Liste sicherer Herkunftsländer erstellte. Dies änderte jedoch nichts an der Entscheidung des Gerichts in Rom. Die Exekutive versuchte dann dieses Gericht zu umgehen, indem sie direkt an das Berufungsgericht alle Entscheidungen über die Bestätigung von Haftbefehlen für nach Albanien überstellte Personen weiterleitete. Das bedeutet auch, dass keine weiteren Rechtsmittel eingelegt werden konnten. Wie wir kürzlich gesehen haben, war auch dieser Versuch ein Fehlschlag, nachdem das Berufungsgericht jegliche Entscheidung über die Inhaftierung von Migranten, die nach Albanien gebracht wurden, ausgesetzt hat. Solange bis der Europäische Gerichtshof am 25. Februar seine Empfehlung zur Bestimmung von sicheren Drittstaaten als Herkunftsländer aussprechen wird.
Tatsache ist, dass die bisher erfolglose Auslagerung italienischer Hotspot-Verfahren nach Albanien für italienische Steuerzahler:innen bereits extrem teuer war. Bau und Betrieb werden für fünf Jahre mindestens 800 Millionen Euro kosten. Und sollten die albanischen Lager tatsächlich in Betrieb genommen werden, werden diese nach Angaben der Regierung maximal 3000 Personen gleichzeitig und maximal 36.000 Personen pro Jahr untergebracht werden können. Dies allein ist eine unrealistische Zahl, wenn man die voraussichtliche Dauer der Verfahren und die Beschränkung auf 3000 gleichzeitige Anwesenheiten bedenkt. Diese Zahlen stehen im Gegensatz zu den 66.317 Ankömmlingen, die allein im Jahr 2024 in Italien registriert wurden – eine extrem niedrige Zahl im Vergleich zu 2023, als die Zahl der Ankömmlinge um 58 Prozent höher lag als in den Jahren davor.
Mit dem sogenannten Albanien-Modell testet Italien bereits Verfahren, die im nächsten Jahr aufgrund des Inkrafttretens des neuen Asyl- und Migrationspakts in der gesamten EU umgesetzt werden sollen. Unter anderem sieht dies beschleunigte Asylverfahren an den EU-Außengrenzen vor, was zu einer Ausweitung von Verwaltungshaft zum Nachteil von Menschen führen wird, die aus einer neuen EU-Liste vermeintlich sicherer Drittländer kommen. Es ist abzusehen, dass solche Entwicklungen auch die Situation von Asylwerbenden in Italien dramatisch verschlechtern werden.“
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