Sowjetische KZ-Überlebende standen nach ihrer Befreiung kollektiv unter Kollaborationsverdacht. In den Filtrationslagern wurde ihr Verhalten in NS-Gefangenschaft von den sowjetischen Behörden genau überprüft, manche verschwanden für viele Jahre im Gulag. Unter diesen Umständen konnten nur Tote Helden sein, und die sowjetischen Überlebenden durften fungierten nicht einmal als Zeugen. So basierte die heroische Erzählung des in Mauthausen zu Tode gekommenen Generalleutnant Dmitrij Karbyšev auf (angeblichen) Berichten eines kanadischen Häftlings. Das erste in der Sowjetunion zu Mauthausen veröffentlichte Buch ("Lebende kämpfen", 1948) war eine Übersetzung aus dem Französischen; Autor war der französische Kommunist Jean Laffitte.
Im Zuge der Entstalinisierung fand die politische Verfolgung der Überlebenden ein Ende, der implizite Rechtfertigungsdruck blieb aber, ebenso wie das hohe Prestige ehemaliger Mithäftlinge in den Ostblockstaaten und im Westen. Die sowjetischen Mauthausen-Überlebenden präsentierten sich nun als Teil eines europäischen Widerstandskollektivs, und transnationale Kontakte mit Überlebenden, welche die eigene Widerstandsleistung bezeugten, waren von größter Bedeutung. Diese Kontakte erhielten dadurch zusätzliches Gewicht, dass einige Mauthausen-Überlebende höchste Staatsämter erklommen hatten: Józef Cyrankiewicz wurde Ministerpräsident der Volksrepublik Polen, Antonín Novotný war Staatspräsident der Tschechoslowakei, und auch im Politbüro des Zentralkomitees der SED in der DDR fanden sich ehemalige Mauthausen-Häftlinge.
Für die sowjetischen Mauthausen-Überlebenden waren transnationale Kontakte mit Mithäftlingen jedoch mehr als nur ein Werkzeug ihrer gesellschaftlichen Rehabilitierung: Sie waren ihr persönliches Fenster nach Europa, das durch Briefkontakte, durch Treffen in der Sowjetunion und für manche auch durch die Teilnahme an den jährlichen Befreiungsfeiern in Mauthausen offengehalten wurde.
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